Es begab sich aber zu der Zeit …
… dass es einen Dirigenten, der in den großen Konzertsälen des Landes zu Hause war, aus nicht mehr ganz nachvollziehbaren Gründen in die Provinz verschlug, um dort einen Dorf-PC zu dirigieren. Dass er mit unverständlichen Dialekten konfrontiert werden würde, war ihm ja vorher klar, auch das Visum für die Schiersteiner Brücke war schnell erteilt, aber auf das, was ihm sonst noch widerfuhr war er nicht vorbereitet.
Im Probenraum angekommen wurde er statt einer freundlichen Begrüßung erstmal angemacht, weil er anscheinend den Namen des Dorfes falsch ausgesprochen hatte – na supi, ein toller Anfang!.
Dann kam ein alter Herr auf 2 Krücken in den Raum gehumpelt.
„Verzeihung“ sagte der Dirigent „Aber der Seniorenkreis ist im Keller“
„Nee, Treppen laufen kann ich garnicht,“ sagte der alte Herr „Ich hab nur paar künstliche Hüft- und Kniegelenke, deshalb die Krücken, aber das geht schon! Achso, wegen Posaunenchor? Ich bin der Tubist“
„Und wo ist die Tuba?“
„Die kommt da“
… und schon erschien ein junger, knackiger ;-) starker Mann, der Tuba und Notenkoffer schleppte.
„Hey, das ist ja klasse. Ein kleiner Dorfchor, der sich einen Roadie leistet zum Gepäck schleppen?“
„Wieso leisten? Bezahlt werd ich nicht “sagte der junge Mann „Ich mach das ganz freiwillig, einfach so, ist doch schön, wenn man helfen kann“
„Einfach so aus Freundlichkeit?“ sowas war der Dirigent von seinen großen Profi-Orchestern nicht gewohnt – sehr seltsam diese Provinz, aber vielleicht doch nicht völlig verkehrt?
Es ging los.
„Du Trommler, du bist immer einen Schlag zu spät. Kuck mein Einsatz: so geb ich einen Schlag vor und so …“ der Dirigent machte die Schlagfigur vor …
„Mach dir kein Stress Meister! Ich bin doch blind, ich seh sowieso nicht was du winkst. Fangt einfach an, ich trink dann nochn Riesling und komm im 2.Takt dazu, das geht schon“
Der Dirigent war mehr als nur verwirrt.
Eine Posaunistin schleppte sich herein; aus dem fremden Dialekt konnte der Dirigent nur verstehen: „Vom Pferd gefallen … Rippen … kann nich atmen … Riesling …“
„Riesling als Schmerzmittel?“
„jaja geht schon!“
„schon gut, schon gut, ich sag nix mehr &hellip:“ dachte sich der Dirigent „Schon SEHR skurril, diese Provinz“
Ein anderer Posaunist erschien und zeigte allen den Stinkefinger
„He, das ist aber nicht sehr freundlich“
„Ich kann nix dafür, die im Krankenhaus haben das so eingegipst. Aber keine Panik: Posaune ist das einzige Instrument, das man ohne Finger spielen kann; das geht schon!“
„Was haste denn angestellt?“
„Peinlich, reine Dabbischkeit („hä,was?“ fragte sich der Dirigent) ich hab in ne Verkorkungsmaschine reingefasst, das konnt nicht gut gehn“
„Ja wirklich dabbisch: Weinflaschen VERKorkt man doch nicht, die ENTkorkt man zum trinken…“
„Hab nur ein Problem: ich bin ja eigentlich krank geschrieben, weiß nicht was mein Chef dazu sagt“
„Pöh“ sagte der Chef „ich spiel doch BASS, ich kuck doch nicht zu den Tenören rüber, thh … also wirklich“
Ein anderer Tenor erschien mit verbundenem Kopf.
„Hatte ne Operation am Gehirn, aber keine Panik: Tenöre sind die Blondinen der Oper, die müssen nur hoch singen … ähhh … spielen können, dazu brauchts kein Hirn, das geht schon“
Damit war fast das ganze Tiefregister lahmgelegt, aber bei den Trompeten sah es nicht besser aus:
Eine Trompeterin kam mit Gipsfuß
Die anderen lästerten: „In deinem Alter rennt man ja auch nicht mehr jungen Briefträgern nach, das haste jetzt davon!“
„pöh“ sagte die Trompeterin „zum blasen brauch ich keine Füße“, stellte energisch ihren Trompetenkasten vor sich, legte ein Kissen darauf und darauf ihren Fuß, griff zum Instrument und sagte nachdrücklich:„geht schon!“
Die nächste Trompeterin erschien mit Gipshand
„Keine Panik, hab mir die Taschentrompete ausgeliehen, die kann ich mit einer Hand spielen,das geht schon!“
Die nächste Trompeterin kam gleich mit beiden Ellebogen in Gips „Keine Panik, hab mir die Ellbogen so eingipsen lassen,dass ich ein Rieslingglas zum Mund führen kann, dann passt auch Trompete, das geht schon!“
Ein Trompeter hatte den ganzen Oberkörper eingegipst „Hatte ne Herz-OP, Brustkorb aufgesägt, aber keine Panik, kann halt nix anstrengendes spielen, aber der Rest geht schon“
Verzweifelt wandte sich der Dirigent an die 2 Trompeter, die äußerlich noch unversehrt aussahen, aber auch die winkten ab
„Hab ein Loch im Zwerchfell, aber keine Panik: ich blas seit 30 Jahren ohne Stütze, das geht schon“ der Eine und : „hab ne Entzündung in der Schulter, aber keine Panik. Das reib ich mit Riesling ein Was? blasen? Ach, das geht schon“ der Andere.
Schließlich kam der letzte Trompeter rein mit dick geschwollenen Backen
„Schwei Schähne geschogen“ nuschelte er „Musch die Löscher mit Rieschling spülen, aber dasch geht schon“
Der Dirigent war verwirrt „äähhh, nehmt ihr hier Riesling gegen alles?“
„Im Prinzip schon, aber für äußerliche Anwendungen nur welchen von de Ebsch Seit“
„Von welcher Seite? Ach schon gut, ich frag besser nicht…“
Der Dirigent sagte zu dem letzten, der noch da saß: „Dann spielst du halt erste Trompete!“
„Trompete? Ich? Wieso ich? Ich bin hier nur zufällig, ich wollte da draußen nur nen Brief in den Briefkasten einwerfen, ich …“
„Egal! Hier haste ne Trompete, und dann spiel !“
In dieser Nacht schlief der Dirigent sehr sehr schlecht!
Als er am Morgen zum Frühstück kam, schrie seine Frau vor Entsetzen auf„Wie siehst du denn aus? Du hast dir ja dreiviertel deiner Haare ausgerissen!“
„Das ist auch wirklich zum Haareraufen, du glaubst nicht, was ich da alles mitmache“ stöhnte der Dirigent.
„Aber so lass ich dich nicht aus dem Haus, das sieht ja unmöglich aus!“ Sprach seine Frau, griff zur Schermaschine und schor ihm die Haarpracht auf 3 mm runter, anders war das wirklich nicht zu kaschieren.
Mit Bauchschmerzen und Schweißausbrüchen suchte der Dirigent nach dem Konzertsaal
„Zum Invalidendom? Da runter und dann gleich links“
Als der arme Dirigent da so vor seinem Chor stand und die ganzen Krücken, Gipsverbände und Verletzungen sah … ein Katastrophen-Kommando, wie sollte er damit ein Konzert bestreiten?
„Ist ja wunderbar“ flüsterte es hinter ihm.
Er drehte sich um: eine etwas diffuse, nicht näher zu identifizierende Gestalt stand neben ihm, seltsamerweise hielt sie ein Brot und eine Flasche Wein unterm Arm, und grinste ihn freundlich an „Bist du völlig gesund und ok?“ fragte die Gestalt
„Nein, gar nicht“ sagte der Dirigent „Vom dirigieren tun meine Schultern weh und Magenschmerzen hab ich sowieso, wenn ich das hier sehe.“
„Bestimmt noch nix gegessen heut, wie ich dich kenne“ sagte die Gestalt und hielt ihm ein Brot hin „hier nimm und iss!“
Der Dirigent war so verwirrt, dass er zugriff …
Die Gestalt wandte sich zum Chor „Und wie isses, die Damen und Herren vom Orchester? Einen Riesling zum aufmuntern?“
„Klar!“ sagten alle „gib her, so bissi Doping muss schon sein!“
Die Gestalt verteilte freigiebig an alle
„Schön, ich freu mich aufs Konzert“ sagte sie „Ihr wisst ja: ich spiel mit euch!“
„Wieso mitspielen? Hast du mit geübt?“ den Dirigenten konnte jetzt schon nichts mehr erschüttern…
„Ich spiel IMMER mit den Kaputten, Verletzten, Zerschlagenen“ sagte die Gestalt und zog sich zurück.
„Kennt ihr den?“ fragte der Dirigent
„ja ja“ winkten die vom Chor ab „der ist immer dabei, gehört quasi zum Inventar“
Das Konzert ging los und war garnicht so eine Katastrophe wie befürchtet.
Irgendwann fühlte sich der Dirigent sogar richtig wohl mit diesem zerschossenen Haufen, sie versuchtes zumindest ihr Bestes zu geben und jammerten nicht rum wie viele Kollegen, die er so kannte.
Manchmal glaubte der Dirigent diese diffuse Gestalt zu sehen, wie sie einem hohen Ton auf die Sprünge half oder ein tiefes H in den Akkord einpasste. Gut, der Doppelchor kam zwischendrin mal heftig ins Schwimmen, aber da verteilte diese diffuse Gestalt Brot ans Publikum, sodass es keiner merkte, aber immer wenn der Dirigent genau hinsah, war sie wieder weg.
Nach dem Konzert aber erschien sie wieder und bedankte sich strahlend „Ihr habt mir geholfen, jede Menge Brot unterm Publikum zu verteilen, prima, dann gehen die Leute gestärkt nach Hause, das ist schön!“
„Sag mal “fragte der Dirigent „bist du vielleicht der Küster?“
„Ja, manchmal bin ich auch einfach nur die Küsterin, ja …“ sagte die Gestalt und verschwand.
Der Dirigent schüttelte den Kopf
„Wirklich äußerst skurril,diese Provinz“ murmelte er, aber irgendwie fühlte er sich ganz wohl dabei.
Dann folgte er seinen verletzten Krückenträgern zu Sekt und Häppchen – das hatte er sich wirklich verdient!
Barbara Alban
EPC Eltville
Anmerkung der Autorin: Alle Verletzungen/Behinderungen sind authentisch und lediglich 3 davon NICHT aus diesem Jahr!