Beide Bezirke
Südnassau Rheinhessen

Weihnachtsduft

Was macht für euch die Vorweihnachtszeit aus?
So fragte Susa als übergeordnetes Thema für dieses Jahr.

Welche Vorweihnachtszeit denn?
Ab August die mit den ersten Lebkuchen in den Geschäften?
Die, welche spätestens im September beginnt, wenn die ersten Stücke fürs Adventskonzert ausgesucht und angespielt werden?
Ab Oktober dann, wenn die kleinen Trompeten- und Posaunenschüler mit den entsprechenden Liedern anfangen müssen, damit bis zum Fest alles klappt?
Im November dann Stollen- und Plätzchenbacken?
Oder am Vortag des 1. Advent Haus schmücken?
Der Dezember schließlich ist so mit Auftritten, Terminen und Veranstaltungen vollgepackt, diese besinnliche Zeit der Hektik kann Susa kaum gemeint haben….

Ein zweiter Punkt war „Welche Traditionen habt ihr?“
Traditionen im Advent oder an Weihnachten.
Nun sind ja die Traditionen am tiefsten verankert, bei denen man garnicht registriert, dass man sie überhaupt hat. Wenn dich dein Unterbewusstsein mit einem gekonnten linken Haken elegant auf die Bretter schickt, noch bevor du gemerkt hast, dass es überhaupt arbeitet.

Die Heiligabend- (paradox)Vormittage meiner Kindheit waren pure Hektik.
Die letzten Einkäufe, was haben wir vergessen? „Du musst noch schnell…“
(zu dieser antiquierten Zeit schlossen die Läden an Heiligabend schon mittags um halb eins! kaum zu glauben)
Vater verkeilte den Baum in einer Wohnzimmerecke, wo er nie richtig passte, das Schmücken war Kindersache, was regelmäßig in Kompetenzstreit ausartete. Mutter versank in der Küche in den Vorbereitungen fürs abendliche Menü, was reichliche Anweisungen an den Rest der Familie „hol mir mal schnell das&hellip:!“ beinhaltete, von Katastrophen wie angebrannter Suppe oder überkochender Milch ganz zu schweigen.

Doch irgendwann war es Spätnachmittag und eine neue Arbeit anzufangen lohnte nicht vor dem Kirchgang. Ein kurzes Verschnaufen, ein Innehalten.
Die Eltern legten im Wohnzimmer nochmal die Füße hoch.
Ich nutzte das regelmäßig zum Instrumentputzen, schließlich sollte das gute Teil abends in der Kirche beim Kerzenschein schön glänzen und nach den Beanspruchungen der Adventszeit mit vielen Auftritten, z.T. im Regen, hatte es das auch dringend nötig.

Zur Erklärung:
Zu Zeiten als ich anfing mit Musik, gab es noch keinen modernen Schnickschnack. Unsre Instrumente waren aus solidem, unlackiertem Messingblech, was bedeutete: im täglichen Gebrauch liefen sie an, jeder Finger hinterließ einen Abdruck und wehe man musste im Regen spielen: jeder Tropfen ein Fleck!
Kein Glamour, nur wenig Glanz; und dieser nur mit Muskelschmalz erreichbar, nämlich reichlich Messingpolitur und Arbeit, einmal rundherum gewienert, was genau bis zum nächsten Auftritt reichte.

So saß ich alleine in der Küche mit dem Instrument auf den Knien, einer Flasche Messingpolitur und einem Berg alter Lappen, die Stille nach dem Trubel des Tages, eine fast meditative Tätigkeit, eher wie ein Streicheln, ein Versinken, ein Konzentrieren auf das was gespielt werden würde, ein Ritual, das mich zur Ruhe brachte und auf seine Weise einstimmte, die Vorfreude auf die Christmette, auf die altbekannte Geschichte, die Lieder, den Kerzenschein.

Jahre gingen ins Land und irgendwann war das alte Instrument ausgemustert, ich schaffte mir ein modernes Instrument an, natürlich lackiert wie inzwischen Standard, welche Arbeitsersparnis! Makelloser Glanz, egal was vorher passiert war. Ob Regen oder Fettfinger – nur einmal trocken überwischen und fertig.

Noch mehr Jahre später gab ich Unterricht im Erlernen von Messinginstrumenten.
Die Oma eines meiner Schüler starb und beim Hausausräumen fand sich auf dem Dachboden eine uralte Posaune, noch aus Vorkriegszeiten. Verknittert, die Züge festgebacken, das Messing blind, dunkelbraun angelaufen, wahrlich kein Schmuckstück. Niemand wollte das Blech haben und so kam die Posaune schließlich zu mir.
Erstmal unter dem Dreck kucken, was da überhaupt drunter steckt!
Also ab in die Badewanne mit dem Stück, mit viel warmem Wasser und reichlich Spüli, die Innenzüge durchwischen, anschließend dann die Bearbeitung der Außenflächen.
Als ich so vor den Einzelteilen saß und im Schweiße meines Angesichtes schrubbte und wischte, wienerte und polierte, schnupperte ich in der Luft: brennt hier irgendwo eine Kerze? Ein Rundgang durchs Haus blieb ohne Ergebnis. Aber irgendwie riecht es hier nach Weihnachten!
Ich habe nichts mit Zimt gekocht, keine Plätzchen gebacken, keine Mandarinen offen herumstehen, erst recht kein Tannengrün in der Wohnung. Es ist gerade mal Frühherbst, woher kann dieser Weihnachtsduft kommen? Noch zwei Rundgänge brachten keine Erkenntnis, wieso riecht es jetzt auf einmal nach Weihnachten?
Ihr werdet es schon ahnen: mein Hinterhirn hatte über Jahrzehnte die Verknüpfung Messingpolitur = Weihnachten gespeichert und zuverlässig wieder heraus gekramt ohne den lästigen Umweg über das Bewusstsein zu nehmen.

Wenn ich heute Liedertexte wie „Weihnachtsduft in jedem Raum“ höre, muss ich immer noch innerlich schmunzeln; die meisten Leute werden damit Tannengrün, Zimt und Kerzenduft verbinden, aber wohl kaum einer den Geruch von Messingpolitur.

In diesem Sinne wünsch ich euch täglich ein kleines Minütchen mit (symbolischer) Messingpolitur, ein Innehalten und zur Ruhe kommen!

Barbara Alban
EPC Eltville