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Seminar „Einheit und Vielfalt” - Die Zusammenarbeit von Persönlichkeiten im Posaunenchor

Langsdorf, 24. Mai 2003

Wer kennt das nicht: die zwischenmenschlichen Eigenarten, die gerade in Gruppen auffallen und bei engem Kontakt häufig störend wirken. Davon bleiben nicht einmal Gruppen wie die Posaunenchöre verschont, die doch nach außen sehr homogen wirken. Gerade, wenn man nach einem strapaziösen Arbeitstag in der wöchentlichen Übungsstunde sitzt, können einem verschiedene Eigenarten mancher Mitbläser sehr unangenehm auffallen. Und wer kennt sie nicht, die standardisierten Unsitten in den Chören? Der eine kommt permanent eine Viertelstunde zu spät, der nächste gähnt auffällig laut und steckt dadurch seine Nachbarn an und ein Dritter tyrannisiert seine Mitbläser, indem er immer - alles besser wissend - dazwischen redet. Und weil Blechbläser, entsprechend ihrer musikalischen Sprache, alles laut und selbstbewusst zu Gehör bringen, können die schon genug strapazierten Nerven der Mitbläser und ganz besonders des Chorleiters die äußerste Grenze ihrer Belastbarkeit sehr schnell erreichen.

Um dieses alltägliche Problem zu artikulieren und zu diskutieren, lud Landesposaunenwart Johannes Kunkel zu dem Seminar „Einheit und Vielfalt. Die Zusammenarbeit von Persönlichkeiten im Posaunenchor” unter der Leitung von Diplom-Psychologin Sigrid Heils ein. So trafen sich am 24. Mai diesen Jahres Chorleiter und engagierte Bläser im Gemeindehaus von Langsdorf bei Lich, um Möglichkeiten zu erarbeiten, wie Spannungen abgebaut und die verschiedenen Persönlichkeiten in die Arbeit des Posaunenchors sinnvoll integriert werden können.

Durch Spiele wurde sehr schnell festgestellt, wie verschieden die Charaktere innerhalb einer Gruppe sein können. Dabei kristallisierten sich ganz verschiedene „Rollen” heraus, die jeder innerhalb der Gruppe einnimmt. Rollen stellen Erwartungen dar, die eine Gruppe an das Verhalten des Einzelnen stellt. So kommt dem einen die eines „Gruppenclowns” zu, während einem anderen, sehr ruhigen und bedachten, der Status des „Beichtvaters” zufällt. Notwendig ist dabei, dass es innerhalb einer Gruppe ein gewisser Spielraum für die Rollen der jeweiligen Mitglieder gibt, damit sich die Betreffenden im Rahmen entfalten können. Wichtig ist aber gerade der Rahmen, in welchem die eigene Individualität innerhalb der Gruppe ausgelebt werden kann. Schließlich soll niemand daran Anstoß nehmen. So ist der, der sich während der Probe ganz verträumt in der Nase bohrt, vielleicht ein harmloser oder auch hoffnungsloser Fall im Gegensatz zu dem, der immer alles besser zu wissen glaubt und dies auch in entsprechender Manier kundtut und damit stört.

Besitzt eine Gruppe wie der Posaunenchor Regeln oder Normen, so ist der Rahmen definiert. Hinter solchen Regeln stehen Sanktionen, die häufig die Schwelle der Subtilität nicht übersteigen. Aber doch wird es jeder recht schnell spüren, dass er von Informationen ausgeschlossen oder belächelt wird, wenn er beispielsweise permanent zu spät kommt. Normen oder Regeln sind aber nur sinnvoll, wenn sie zielgerichtet sind. Erst das - am besten gemeinsam gefundene - Ziel führt häufig zu einer Identifikation mit der Gruppe und schafft ein kollegiales Gruppenbewusstsein. Das ist natürlich nicht immer leicht. Aber erst dann, wenn alle hinter einem Vorhaben stehen, werden sie auch bereit sein, Energie und Engagement in die Gruppe zu investieren. Dabei kommt den Leitenden die Aufgabe zu, außermusikalische Fähigkeiten der Bläser sinnvoll in die Planung einzubeziehen. So kann beispielsweise der Besserwisser in die Organisation anstehender Termine einbezogen werden und so tatkräftig zur Entlastung der wenigen engagierten Organisatoren beizutragen. Schlimmstenfalls wird er, völlig überfordert, zu der heilsamen Erkenntnis kommen, dass vieles gar nicht so einfach ist, wie es oberflächlich zu sein scheint und sich später ruhiger verhalten.

Gerade den Sinn für einen besonnenen Umgang mit solchen alltäglichen Phänomenen in einer Gruppe versuchte das Seminar zu schärfen. Nur durch Kommunikation wird Integration geschaffen, die dem Bläserkreis zu konstruktiver Arbeit und der Erfüllung seiner Aufgaben verhilft. Es gilt, jeden mit seinen Fähigkeiten in die Gruppe zu integrieren und zu sinnvoller Mitarbeit zu animieren. Auch Generationskonflikte können sich dadurch entspannen. Allein, ein Patentrezept dafür gibt es nicht.

Neben dem Interesse der Teilnehmenden ist es auch dem Engagement von Sigrid Heils zu verdanken, dass dieses Seminar für alle gewinnbringend war. Wenn nicht unbedingt konkrete Wege, so wurden doch Möglichkeiten aufgezeigt, festgefahrene Sitten oder auch Unsitten zu lockern, damit das Musizieren im heimischen Posaunenchor wieder mehr Freude bereitet und eine soziale Komponente im Leben jedes Bläsers darstellt. Gerade in einer Zeit, wo das Freizeitangebot schier unermesslich scheint, ist es für Posaunenchöre wichtig, ein soziales Umfeld zu bieten, welches die Bläser mit Begeisterung und Stolz erfüllt. Nur dann werden Posaunenchöre weiterhin ein fester Bestandteil christlicher Verkündigung sein.

Stefan Zielsdorf, Wetzlar